High Hitler! Der Totale Rausch? Drogen im Nationalsozialismus

Hausfrauen futterten Methamphetamin in Form von Pralinen, um bei der Hausarbeit bei Laune zu bleiben, Fabrikarbeiter arbeiteten auf „Speed“ emsiger und fröhlicher, die Soldaten der Westfront marschierten durch Tabletteneinnahme schneller und scheinbar unermüdlich und auch Hitler kam zuletzt ohne aufputschende Drogen überhaupt nicht mehr aus – laut Norman Ohler war die Grundlage all dessen ein vermeintliches Wundermittel namens „Pervitin“.  Der ganze „Volkskörper“ auf Drogen und „der Führer“ ein hoffnungsloser Junkie? Dieses Bild zeichnet zumindest der Journalist und Schriftsteller Norman Ohler in seiner Monographie „Der totale Rausch. Drogen im Dritten Reich“.

Mit „Der totale Rausch. Drogen im Dritten Reich“ hat der Journalist und Schriftsteller Norman Ohler eine brisante Monographie vorgelegt

Das Buch, das letztes Jahr auch als Taschenbuch erschienen ist und mittlerweile sogar in zahlreiche weitere Sprachen übersetzt wurde, entfachte Ohler eine hitzige Diskussion unter Historikern und Journalisten entfacht. Erscheint doch im kalten Licht der Drogen die Geschichte des Nationalsozialismus als eine völlig andere als bisher. Das Brisante dabei: Beim Wirkstoff von „Pervitin“, das 1938 durch die Berliner Temmler-Werke auf den Markt gebracht wurde, handelt es sich um die gleiche Substanz wie sie im heutigen „Crystal Meth“ enthalten ist, nämlich Methamphetamin.

Gemäß Ohler wäre der überraschende und rasante Erfolg des „Blitzkrieges“ ohne Methamphetamin gar nicht möglich gewesen. Zudem arbeitet der Autor heraus, dass Hitler durch seinen Leibarzt Theodor Morell regelmäßig ein hochpotentes (und zuletzt zerstörerisches) Gemisch aus Vitamin-Präparaten, harten Drogen wie Kokain und Methamphetamin sowie tierischen Hormonen verabreicht bekommen hat. Unter anderem bekam der Führer auch „Eukodal“, ein opiathaltiges Medikament. Auf diese Weise werde die erschreckende Dynamik des Nationalsozialismus überhaupt erst erklärbar, so Ohlers Fazit.

Methampthetamin –  Eine Droge macht mobil

Was ist dran an diesen gewagten Thesen? In der Fachliteratur und in den Buchbesprechungen in den Leitmedien wird Ohlers Monographie sehr unterschiedlich bewertet. Obwohl den Quellennachweisen, die der Autor anführt, im Einzelnen nachzugehen wäre, so lassen sich doch folgende interessante Fakten im Zusammenhang zwischen Nationalsozialismus und Drogen festhalten:

Methampthetamin wurde bereits 1893 durch den japanischen Chemiker Nagayoshi Nagai synthetisiert und 1920 erstmals patentiert. Das Herstellungsverfahren war also schon lange vor der offiziellen Einführung auf dem deutschen Markt bekannt. Heute ist Methamphetamin in verunreinigter Form unter Bezeichnungen wie „Crystal Meth“ auf dem Schwarzmarkt erhältlich (und deswegen umso gefährlicher). Nachdem in den Berliner Temmler-Werken seit 1934 nach einem vereinfachten Verfahren geforscht wurde, um Methamphetamin massenweise herstellen zu können, kam als Ergebnis 1938 „Pervitin“ auf den Markt, das anfangs als Wunderdroge schlechthin ohne Nebenwirkungen angepriesen wurde.

„Unbedenkliches Pervitin“ lange Zeit rezeptfrei in deutschen Apotheken erhältlich

Jahrelang war „Pervitin“ rezeptfrei in deutschen Apotheken erhältlich, bevor der Bezug ab 1941 deutlich eingeschränkt wurde – insofern sind die Erfahrungen, die man damit, vergleichbar mit denen mit Heroin, das ebenfalls noch um die letzte Jahrhundertwende ohne Weiteres in Apotheken zu kaufen war, bevor die fatalen Konsequenzen augenscheinlich wurden. Dem Konsumenten verleiht Methamphetamin scheinbar neues Selbstbewusstsein, neue Leistungskraft und ein Gefühl der Stärke, außerdem werden Hunger, Müdigkeit und das Schmerzempfinden kurzfristig unterdrückt.

Pervetin: Eine weit verbreitete Droge im dritten Reich2
Pervitin aka Methamphetamin – In Deutschland bis 1941 rezeptfrei in Apotheken

Auf diese Weise soll es möglich gewesen sein, dass Soldaten im Rahmen des „Blitzkriegs“ bis zu 48 Stunden unterbrochen marschierten und keine Pausen einlegen mussten, die dem Gegner Gelegenheit zur Gegenoffensive gegeben hätten. Im Gegenzug droht eine schnelle Abhängigkeit, ungebremster Dauerkonsum von Methamphetamin führt unweigerlich zum geistigen und körperlichen Verfall und kann unter anderem extreme Stimmungsschwankungen, Halluzinationen und den Abbau der Skelettmuskulatur nach sich ziehen.

Fakt ist, dass die Führung der deutschen Wehrmacht „Pervitin“ millionenfach an Soldaten weiterreichen ließ und der rasante Sieg des „Blitzkriegs“ von 1939/1940 dadurch zumindest teilweise erklärbar wird. Bekannt ist beispielsweise vom Schriftsteller Heinrich Böll, dass er in Heimatbriefen seine Verwandten darum bat, ihm dringend „Pervitin“ zu schicken, als der Nachschub ausblieb. Auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs blieb Böll abhängig, wobei es sich sicher um keinen Einzelfall handelte. Doch warum sollte die nationalsozialistische Führungsspitze ein solches „Wundermittel“ an Soldaten weiterreichen, es aber selbst nicht konsumieren, wenn es doch scheinbar harmlos war?

High Hitler – Der Führer ein gebrochener Junkie?

Unbestrittene Tatsache ist auch, dass Hitler zuletzt ein seelisches und körperliches Wrack war und sich – abgeschirmt von der Realität – in seinem Bunker versteckte. Aufgrund seiner Schüttellähmung verbot er in den letzten Kriegsjahren Filmaufnahmen von sich, um zu verbergen, dass sein linker Arm zitterte. Dahinter verbarg sich offenbar eine Parkinson-Erkrankung, die durch  Substanzmissbrauch hervorgerufen worden sein könnte. Ohler hat in diesem Zusammenhang die Aufzeichnungen von Hitlers Leibarzt Morell ausgewertet und kommt zu dem Schluss, dass „der Führer“ ein Schwerstabhängiger war, unter anderem von „Pervitin“.

Bild mit Hitler und jungen Soldaten des Volkssturms
Bei dieser letzten Aufnahme vom 20. März 1945 soll Hitler schwer krank gewesen sein. Auffallend ist, dass der linke Arm auf dem Bild verborgen bleibt, offensichtlich litt Hitler unter Parkinson. Bildquelle DHM

Einige Kritiker wenden diesbezüglich ein, dass „Pervitin“ erst 1938 auf den Markt kam und Hitlers Gedankengebäude und manischer Eifer damit nicht erklärt werden könne (etwa Sven Felix Kellerhoff, siehe Auswahlbibliografie unten); jedoch handelte es sich bei Hitler um die prominenteste Person des Deutschen Reiches überhaupt, in Morells Aufzeichnungen wird er stets als „Patient A“ bezeichnet. Es ist denkbar, dass Hitler bereits viel früher Zugang zu dem Wirkstoff bekam als die breite Masse und schon im Vorfeld auch andere Drogen konsumierte. Wie viele anderen chemischen Neuerungen auch, galt „Pervitin“ zunächst als gesundheitlich unbedenklich und wurde gedankenlos eingenommen.

Nicht zu unterschätzen ist auch der Aspekt, dass Methampethamin sehr schnell abhängig macht. Der Einwand mancher Historiker, Hitler habe nur dann und wann eine kleine Dosis eingenommen und Ohler übertreibe in seinen Ausführungen maßlos, scheint vor diesem Hintergrund wenig einleuchtend.

Das Medikament X – Hitlers geheime Medizin

Wie Ohler nachweist, codierte Morell seine Aufzeichnungen, unter anderem taucht dabei immer wieder ein geheimnisvolles Medikament „X“ auf, was Ohler als Hinweis auf eine Mischung mit „Pervitin“ deutet. Hitler erscheint demnach als jemand, dessen Weltanschauung und Politik durch Drogenkonsum gesteuert wurde, als jemand, der sich im ständigen Wechsel aus Rausch und Entzug befand und auf dieser Grundlage seine Entscheidungen traf. Auch die Mobilisierung der Massen, Massenrausch und NS-Propaganda werden aus der Perspektive von Drogenmissbrauch ganz anders erklärbar.

Betrachtet man das Werk Ohlers, muss immer im Blick behalten werden, dass es sich um ein populärwissenschaftliches Werk handelt. Zahlreiche Ausführungen in Ohlers Werk erscheinen (zumindest auf den ersten Blick) spekulativ. Aber ob der Autor nun uneingeschränkt Recht hat oder nicht. Auf alle Fälle hat der Berliner mit seiner Monographie eine interessante Diskussion auch innerhalb der Geschichtswissenschaft angestoßen.

Phasenweise liest sich „Der totale Rausch“ wie ein spannender Krimi. Es ist also nun Aufgabe der (universitären Geschichtswissenschaften), Ohlers Quellen sorgfältig einzeln auszuwerten. Auf alle Fälle handelt es sich beim möglichen Drogenmissbrauch im Nationalsozialismus um einen äußerst interessanten Aspekt der Geschichte, dem es sich intensiv nachzugehen lohnt.

Beitrag erstmals veröffentlicht am 19. November 2018

Literatur und Auswahlbibliographie

Sven Felix Kellerhoff. Zugedröhnte Nazis? Der Faktencheck, in: Welt, 18.09.2015; https://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/article146531617/Zugedroehnte-Nazis-Der-Faktencheck.html; aufgerufen am 23.10.2018.

Norman Ohler. Der totale Rausch. Drogen im Dritten Reich, Köln 2017.

Tilmann Holzer. Die Geburt der Drogenpolitik aus dem Geist der Rassenhygiene. Deutsche Drogenpolitik von 1933 bis 1972. Norderstedt) 2007.