Der Verband nationaldeutscher Juden – Selbstwahrnehmung und Außenwirkung

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Der Verband nationaldeutscher Juden gehörte zu den zwiespältigsten politischen Erscheinungen der Weimarer Republik. Mit teils scharfer Rhetorik versuchte er die Juden im Reich dazu zu bringen, sich ausschließlich als Deutsche zu begreifen und sich bedingungslos für deutsche Ziele einzusetzen.

Mit seiner radikalen Einstellung machte sich der Verband viele jüdische und nichtjüdische Feinde. Gerade einmal 4000 Mitglieder gehörten ihm an. Das Echo auf seine Tätigkeit war jedoch phasenweise enorm. Selbst Benito Mussolini soll sich anerkennend über ihn geäußert haben. Doch was verband die Mitglieder miteinander, aus welchen Verhältnissen stammten sie, wie sah ihre Verbandstätigkeit aus? Und wie wurden sie von Außenstehenden wahrgenommen?

Mitgliedschaft und Tätigkeit

Gegründet wurde der Verband im März 1921. Zu seinen frühesten Mitgliedern zählten der Rechtsanwalt Max Naumann, der Hals-Nasen-Ohren-Arzt Alfred Peyser und der Zeitungsherausgeber Samuel Breslauer. Diese betont nationalistisch eingestellten Vertreter des deutschjüdischen Bildungsbürgertums hatten vor allem eines gemeinsam: Sie akzeptierten die Praktizierung des Judentums allenfalls als religiöse Privatsache innerhalb der Synagoge oder in den eigenen vier Wänden. Als Ethnie wollten sie das Judentum keinesfalls verstanden wissen. Diejenigen Bewohner Deutschlands, die auf einer jüdischen Eigenidentität beharrten, sollten daher aus ihrer Sicht entweder nach Palästina auswandern oder unter Fremdenrecht gestellt werden.

Meine Hoffnung ist, daß meine Kräfte ausreichen werden, bis der Nachwuchs meiner jungen, begeisterten, vom Deutschtum erfüllten Mitarbeiter stark und gewandt genug ist, selbständig das Werk zu vollenden und es zu erhalten bis in eine Zukunft hinein, in der kein nationaldeutscher Jude mehr daran denkt, daß man die ersten seiner Art einmal nach meinem unwichtigen Namen genannt hat.

Max Naumann: Naumannianer. Ein Wort in eigener Sache. In: Mitteilungsblatt des Verbandes nationaldeutscher Juden, 4. Jg. (August-September 1924) Nr. 3, S. 4.

Als eigentlicher gedanklicher Vorreiter und Kopf des Verbands gilt häufig Naumann. Vor allem seine 1920 erschienene Schrift Vom nationaldeutschen Juden, in der er die deutschen Juden in „Nationaldeutsche“, Zionisten und unentschlossene „Zwischenschichtler“ einteilte, wird oft als eine Art inoffizielles Programm seiner Gruppierung angesehen. Darum wurden die Mitglieder oft auch als „Naumannianer“ bezeichnet. Der Verbandsgründer selbst wehrte sich jedoch vergeblich gegen den Eindruck, dass die Gruppe lediglich zur Umsetzung seiner persönlichen Ziele diene. Er legte großen Wert darauf, dass der VnJ wichtiger sei als sein eigener, persönlicher Name, ja er hoffte sogar, dass sein Verband selbst dann noch existieren würde, wenn sein Name längst vergessen sei.

Diese Hoffnung sollte sich zwar nicht bewahrheiten, denn der Verband wurde 1935 von der NS-Regierung aufgelöst, da diese eine betont deutschnationalistische jüdische Organisation aus diversen Gründen für gefährlich hielt. Doch zumindest vor 1933 war der VnJ ein attraktiver Ort für einige Juden, die auf ihre Zugehörigkeit zu Deutschland stolz waren und diese besonders betonen wollten. Ihre Eltern stammten in der Regel aus den ländlichen, östlichen Provinzen des Reiches und verfügten dort häufig über eigenen Grundbesitz. Sie selbst waren hingegen zumeist in der Großstadt aufgewachsen, meistens in Berlin. In den 1920er Jahren arbeitete der Großteil von ihnen dort in prestigeträchtigen freien Berufen, beispielsweise als Ärzte und Anwälte oder im Staatsdienst als höhere Beamte. Sie galten damit als Honoratioren, also als Menschen, denen aufgrund ihrer Bildung und ihrer Verdienste um die Gemeinschaft besondere Ehre zuteilwurde. Damit erinnerte ihre Zusammensetzung frappierend an andere nationalistische Vereine, wie beispielsweise den Alldeutschen Verband. Dieser hatte sich damals allerdings schon auf einen klar antisemitischen Kurs festgelegt und schloss jüdische Mitglieder ab 1924 pauschal aus.

Die meisten nationaldeutschen Juden lebten in den vornehmen westlichen Berliner Vierteln wie Charlottendorf, Wilmersdorf und Schöneberg. Typisch für den generationellen Übergang vom Wirtschafts- zum Bildungsbürgertum war beispielsweise die Biographie des Philosophen Jonas Cohn, dessen Begeisterung für Geschichte, Kunst und Dichtung bereits durch seine Eltern geweckt worden war. Sein Vater Philipp aus dem oberschlesischen Kreuzberg hatte bereits ein Jurastudium absolviert, war aber unter den diskriminierenden Bedingungen des juristischen Betriebs nicht in der Lage gewesen, Richter zu werden. Stattdessen musste er zunächst den Weinhandel seiner Mutter übernehmen und verdiente später als Bauunternehmer immerhin gutes Geld. Doch erst sein Sohn wurde auch aufgrund seiner Bildung und nicht nur wegen seines Eigentums als Vertreter des deutschen Bürgertums anerkannt.

Andere von ihnen starteten jedoch zunächst selbst im geschäftlichen oder kaufmännischen Bereich, darunter der Kinderarzt Julius Ullmann aus Karlsruhe. Dieser wirkte erst eine Weile im Geschäft seines Vaters mit, ehe er das Abitur nachholen und Medizin studieren konnte.

Leopold Samolewitz war ebenso Anwalt wie Naumann und erhielt im Ersten Weltkrieg ebenfalls das Eiserne Kreuz. 1939 musste er jedoch nach Palästina fliehen. Bild: Leopold Samolewitz: Poldi´s Memoirs, unveröff. Mskr. Courtesy of the Leo Baeck Institute New York, ME 1293, S. 50. Alle Rechte vorbehalten

Die meisten nationaldeutschen Juden lebten in den vornehmen westlichen Berliner Vierteln wie Charlottendorf, Wilmersdorf und Schöneberg. Typisch für den generationellen Übergang vom Wirtschafts- zum Bildungsbürgertum war beispielsweise die Biographie des Philosophen Jonas Cohn, dessen Begeisterung für Geschichte, Kunst und Dichtung bereits durch seine Eltern geweckt worden war. Sein Vater Philipp aus dem oberschlesischen Kreuzberg hatte bereits ein Jurastudium absolviert, war aber unter den diskriminierenden Bedingungen des juristischen Betriebs nicht in der Lage gewesen, Richter zu werden. Stattdessen musste er zunächst den Weinhandel seiner Mutter übernehmen und verdiente später als Bauunternehmer immerhin gutes Geld. Doch erst sein Sohn wurde auch aufgrund seiner Bildung und nicht nur wegen seines Eigentums als Vertreter des deutschen Bürgertums anerkannt. Andere von ihnen starteten jedoch zunächst selbst im geschäftlichen oder kaufmännischen Bereich, darunter der Kinderarzt Julius Ullmann aus Karlsruhe. Dieser wirkte erst eine Weile im Geschäft seines Vaters mit, ehe er das Abitur nachholen und Medizin studieren konnte.

Eine Herausforderung war zudem, dass an den Universitäten häufig Antisemitismus vorherrschte. Dennoch waren nicht nur die nationaldeutschen Juden selbst zumeist Akademiker. Dasselbe galt auch für die nichtjüdischen Vertreter des Bildungsbürgertums, die sie als Verbündete zu gewinnen hofften. Etliche Verbandsmitglieder hatten auch studentischen Verbindungen angehört, über die sie ebenfalls mit gebildeten Nichtjuden in Kontakt traten. Als der VnJ gegründet wurde, dürfte jedoch ein Großteil von ihnen das Studium bereits abgeschlossen haben, denn 40% der Mitglieder waren bereits vor 1875 geboren, ein Viertel sogar vor der Reichsgründung von 1871. Auch in dieser Hinsicht waren sie also zumeist privilegiert, da ihre feste Position im Berufsleben bereits gesichert war.

Obwohl höchstens ein Fünftel der Mitglieder erst nach der Jahrhundertwende geboren war, rückte diese Teilgruppe gerade in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre zunehmend in wichtige verbandsinterne Funktionen auf und verfasste auch zahlreiche Artikel für die organisationseigene Zeitschrift. Gerade unter diesen jüngeren Mitgliedern befanden sich auch Frauen wie Margo Wolff und Margarete Pulvermann. Zudem legte der Verband großen Wert darauf, die Rolle der Jugend für die Zukunft des deutschen Judentums in seinen Veröffentlichungen zu betonen. Gerade die Familie galt ihm als wichtiger Ort, um deutsche Traditionen und Zugehörigkeitsgefühle weiterzugeben. Gelegentlich konnte es dabei jedoch auch zu heftigen Konflikten kommen. So wurde der Bruder des Juristen Kurt Berliner im Alter von 15 Jahren zum glühenden Zionisten. Als er im September 1918 kurz vor Ende des Ersten Weltkriegs in der Schlacht fiel, hatte er seine Koffer für die Auswanderung nach Palästina offenbar bereits gepackt. Sein Bruder Kurt, der später dem VnJ beitreten sollte, quittierte diese Einstellung mit Unverständnis und Verwunderung.

Die Verbandszeitschrift mit einem Gastbeitrag des Philosophen, Pädagogen und Psychologen Eduard Spranger

Die Aktivitäten des Verbandes taten ihr Übriges, um die Mitglieder enger zusammenzuschweißen. Seit September 1921 erschien einmal monatlich das Mitteilungsblatt des Verbandes nationaldeutscher Juden, das ab 1925 einfach Der nationaldeutsche Jude hieß. Diese Verbandszeitschrift war großteils durch die scharfe Auseinandersetzung mit politischen Gegnern innerhalb des Judentums geprägt, also vor allem mit Zionisten oder den vermeintlich unentschlossenen Vertretern des gesellschaftspolitisch ausgerichteten Central-Vereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (CV) oder des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten. Auch Berichte über eigene Versammlungen sowie regelmäßige Bücherbesprechungen wurden abgedruckt. Häufig kamen auch Nichtjuden zu Wort, die ihre Perspektive auf das Zusammenleben mit dem jüdischen Bevölkerungsanteil im Deutschen Reich beisteuerten.

Darüber hinaus veranstaltete der VnJ Weihnachtsfeiern, um seine Solidarität mit nichtjüdischen Mitbürgern zu betonen. Jüdische Pilger- und Fastentage feierte er hingegen nicht, wodurch das hohe Maß der Anpassung an die christliche Mehrheitsgesellschaft deutlich wird. Sowohl jüngere als auch ältere Mitglieder traten dem Verband bei, um ihr „Deutschtum“ zu betonen und gemeinsam zu praktizieren. Vielen von ihnen erschien dies bitter nötig, denn antisemitische Einstellungen nahmen nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg und der damit verbundenen Dolchstoßlegende rapide zu. Vor 1914 wäre die Entstehung eines jüdischen Vereins, der seine deutsche Identität so entschieden und kompromisslos betonte wie der VnJ, kaum denkbar gewesen. Allerdings war es mit der Betonung dieser Identität für viele Mitglieder auch schon getan, weshalb die Leitung sich des Öfteren über die hohe Zahl an passiven Verbandsangehörigen empörte.

Mitunter konnten die aktiven Mitglieder jedoch eine verhängnisvolle Eigeninitiative aufbringen. 1923 schlug sich die Münchener Jugendgruppe des VnJ auf die Seite des ehemaligen Generalquartiermeisters Erich Ludendorff. Der vermeintliche Held des Ersten Weltkriegs trat in der Weimarer Republik offen als völkischer Antisemit auf. Dafür wurde er vom CV scharf kritisiert. Diese Situation erschien der Verbandsleitung so gefährlich, dass sie sich gezwungen sah, öffentlich auf Distanz zu den jüngeren Mitgliedern in der bayerischen Hauptstadt zu gehen, obwohl sie die vermeintlichen militärischen Verdienste Ludendorffs bewunderte. Dass verschiedene Aktivisten des VnJ immer wieder Begriffe wie den der „Volksgemeinschaft“ verwendeten und sich somit in einer Grauzone zum radikalen Nationalismus bewegten, sorgte im überwiegenden Teil des deutschjüdischen Milieus jedoch weiterhin für Irritation. Entsprechend fiel das Urteil über den Verband dort alles andere als enthusiastisch aus.

Die von General Ludendorff zum Ausdruck gebrachten Anschauungen unterscheiden sich in nichts von den Ansichten, die in der sich deutschvölkisch nennenden Literatur, in Flugschriften, Versammlungsreden und sogenannten wissenschaftlichen Werken schon häufig ausgesprochen worden sind. Sie gehören in das Gebiet einer geistigen Verirrung, die an die Stelle positiver aufbauender Ideen eine ebenso bequeme wie unfruchtbare Negation setzt und dem Vaterlande zu nützen vermeint, indem sie alles, was faul ist in Deutschland, auf eine Zersetzung durch „fremde“ Einflüsse zurückführt.

Verband nationaldeutscher Juden/Max Naumann/Samuel Breslauer: Ludendorff und die Juden. In: Mitteilungsblatt des Verbandes nationaldeutscher Juden, 4. Jg. (April 1924), Sondernr. 1 A, S. 2.

Die Wahrnehmung im Judentum

Die größte jüdische Organisation im Deutschen Reich war in den 1920er Jahren der CV. Bereits im Kaiserreich gegründet setzte er sich das Ziel, jüdische und deutsche Identität miteinander zu vereinbaren und die gleichen Bürgerrechte der Juden zu wahren. Dabei hatte er vor dem Krieg in der Regel darauf bestanden, zwischen der jüdischen Religion und einer ethnischen Definition des Judentums zu unterscheiden. Angesichts des wachsenden Antisemitismus erschien ihm eine derart exakte Unterscheidung in der Zwischenkriegszeit jedoch nicht mehr möglich. Dadurch schuf er eine programmatische Lücke, in die der VnJ nun vorstoßen wollte. Dennoch bestritt der CV die Notwendigkeit einer derart rabiat nationaldeutschen neuen Gruppierung entschieden. Dass etliche Mitglieder des VnJ auch weiterhin Mitglieder im Zentralverein blieben, dürfte ihm argumentativ in die Hände gespielt haben.

Bild: Dt. Historisches Museum | Lizenz: CC BY-SA 3.0

Das Hauptziel des CV bestand vor allem darin, die zentrale Organisation des deutschen Judentums zu bleiben und innerhalb dieses Milieus ein möglichst breites Spektrum von Positionen abzudecken. Dies wurde angesichts der innerjüdischen Streitigkeiten nach 1918 allerdings immer schwieriger. Im April 1921 sprach sich die Verbandszeitschrift des CV daher sowohl gegen den neu gegründeten VnJ als auch gegen entschiedene Zionisten aus. So lehnte der Zentralverein zwar die Unterstützung zionistischer Palästina-Fonds ab, die eine direkte Besiedlung Palästinas durch Juden finanziell ermöglichen sollten. Der CV bestand vielmehr darauf, dass die Unterstützung zahlreicher bedürftiger Juden und Nichtjuden auf deutschem Staatsgebiet in diesem Fall Vorrang habe. Zugleich jedoch warnte er seine Mitglieder ausdrücklich vor einem Beitritt zum VnJ, da dieser eine verwirrende und gefährliche Lage schaffe. Wie damals allgemein üblich stufte auch der CV den VnJ in erster Linie als eine Ansammlung treuer Gefolgsleute Naumanns ein.

Ludwig Holländer, Syndikus des CV, führte aus, dass der Zentralverein immer für deutsche Interessen eingetreten sei, weshalb er die Gründung eines „Verbandes nationaldeutscher Juden“ für überflüssig hielt. Im Gegensatz zum VnJ erkenne der Zentralverein jedoch an, dass seine Mitglieder zugleich Deutsche und Juden seien und sich nicht einseitig nur für eine dieser beiden Identitäten entscheiden könnten. Dasselbe gelte schließlich auch für deutsche Katholiken. Da die überwältigende Mehrheit der CV-Mitglieder sich stets aufopferungsvoll für den deutschen Staat eingesetzt habe, womit Holländer sich wahrscheinlich auch auf die Zeit des Krieges bezog, sei der Vorwurf des mangelnden Patriotismus, den der VnJ gegen die meisten CV-Mitglieder erhebe, nichts anderes als eine Beleidigung.

Bezüglich der zahlreichen Ostjuden, die als deutsche Kriegsgefangene oder als Flüchtlinge in den Wirren des russischen Bürgerkriegs ins Reich gelangt waren, nahm Holländer ebenfalls eine andere Haltung ein als der VnJ. Zwar stimmte er zu, dass nicht zu viele „proletarische“ oder ungebildete Menschen nach Deutschland einwandern dürften. Dennoch lasse sich die Frage nach einer ostjüdischen Zuwanderung keineswegs nur unter deutschen Gesichtspunkten klären, wie vom VnJ gefordert. Vielmehr sei sie gleichzeitig auch ein jüdisches und ein Menschheitsproblem, denn die Juden in Osteuropa würden meist aus genau denselben Gründen verfolgt und stigmatisiert wie deutsche Juden. Eine gewisse jüdische Solidarität über Staats- und Völkergrenzen hinweg, liege deshalb im Interesse deutscher Juden, um Antisemitismus wirksam zu bekämpfen.

Auch zwischen Zionisten müsse der CV unterscheiden, da es hier sowohl Juden gebe, die tatsächlich alle Identitäten außer der jüdischen ablehnen würden, als auch solche, die einen jüdischen Nationalstaat in Palästina lediglich als Fernziel anstrebten und demzufolge sehr wohl entschlossen für das Deutsche Reich gekämpft hätten. Insgesamt warf Holländer dem VnJ vor, die Notwendigkeit internationaler Zusammenarbeit in völlig unrealistischer Weise zu leugnen. Besonders die Tatsache, dass der VnJ anfangs auch Menschen aufnahm, die aus dem Judentum ausgetreten und nicht getauft waren, empfand Holländer als „Keulenschlag“, denn dies führe die Idee einer jüdischen Organisation ad absurdum.

Wir sind stolz darauf, gerade durch die Mischung von Judentum und Deutschtum in uns eigenartige Persönlichkeitswerte auszulösen, mit denen wir bodenständige, wurzelfeste Arbeit unserem Vaterlande leisten. Diese Wurzelfestigkeit dürfen wir nicht verlieren. Sie wird nimmermehr denen innewohnen, die der „einfachen“, aber unwahren Verbandsparole folgen. Sie werden sich als die „Zwischenschichtler“ erweisen, als die sie uns bezeichnen.

Ludwig Holländer: Verband nationaldeutscher Juden und Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens. In: Im Deutschen Reich 27. Jg. (April 1921), Nr. 4, S. 117.

Auch die Hoffnung einiger VnJ-Mitglieder, wonach man sich mit dem Zionismus einigen könne, solange dieser auf eine konsequente Auswanderung jüdischer Nationalisten aus Deutschland abziele, bewahrheiteten sich nicht. Obwohl die britische Regierung nach Ende des Ersten Weltkriegs ihre prinzipielle Unterstützung für einen jüdischen Staat in Palästina zugesagt hatte, war der Zionismus stärker gespalten als je zuvor. Während einige Gruppierungen tatsächlich versuchten, eine groß angelegte Auswanderung von Juden nach Palästina in die Wege zu leiten, beschränkten sich andere eher darauf, das kulturelle Eigenbewusstsein unter Juden zu stärken. Dies allein machte eine Abstimmung zwischen Zionisten und VnJ so gut wie unmöglich, da zahlreiche Auslegungen des Zionismus den nationaldeutschen Juden als inkonsequent erscheinen mussten. Besonders stark kritisierte der VnJ das Engagement der beiden preußischen Regierungsbeamten Hermann Badt und Hans Goslar, die er als „Ministerialsozialisten“ bezeichnete. Besonders Badt geriet bei den nationaldeutschen Juden immer wieder in Verruf, da er orthodoxe religiöse Überzeugungen pflegte, sich in mehreren jüdischen Logen betätigte und darüber hinaus für Einwanderungsfragen bezüglich der Ostjuden zuständig war.

Die Zionisten wiederum bewerteten den VnJ in aller Regel argwöhnisch bis eindeutig ablehnend. Der Verband wurde als extremes Beispiel für die Anpassung, wenn nicht Anbiederung, an die nichtjüdische Mehrheitsgesellschaft angesehen. Dabei warfen ihm Zionisten vor, sämtliche übrigen jüdischen Gruppen im Stich zu lassen, nur um die eigene Beliebtheit unter Nichtjuden zu steigern. Allerdings provozierten vor allem die Weihnachtsfeiern des VnJ auch zahlreiche zionistische Zeitungsartikel, die sich eher über den Verband lustig machten und ihn weniger als ernsthafte Bedrohung betrachteten. Auch humorvolle Auseinandersetzungen in zionistischen Satirezeitschriften waren nicht selten.

Die Jüdische Rundschau, das Organ der Zionistischen Vereinigung für Deutschland kam wiederum zu dem Schluss, dass der Verband zahlreiche Thesen zum Charakter des Judentums als Nation oder Religion einfach aus dem zionistischen Lager übernommen habe. In diesem Sinne hielten einige Zionisten das Gedankengut des VnJ für durchaus kompatibel mit ihren eigenen Ideen. Zu einer positiven Bewertung der nationaldeutschen Konkurrenz führte diese Sichtweise aber nicht. Allgemein nutzte die zionistische Seite den VnJ in erster Linie als Negativfolie, um ihren eigenen Standpunkt zu definieren. So organisierten führende Zionisten des Öfteren eigene Gegenveranstaltungen, um auf zuvor stattgefundene Aktionen des VnJ direkt zu reagieren. Ähnlich wie im Zentralverein gab es allerdings auch unter den Zionisten solche, die durchaus eine kulturelle Verbundenheit zu ihrem deutschen Geburtsort verspürten und sich vom VnJ ungerechtfertigterweise als Feinde des Deutschen Reiches verdächtigt fühlten. Zu ihnen zählte unter anderem der Publizist Gustav Krojanker. Auch wenn der VnJ insgesamt nicht zu den Hauptthemen zionistischer Agitation zählte, spielte er dort doch immer wieder eine Rolle, wobei kaum ein gutes Haar an ihm gelassen wurde. Insgesamt hatten die meisten deutschen Juden für die scharfen Positionen des VnJ somit wenig Verständnis, ob sie selbst nun Deutschland als ihre Heimat betrachteten oder auf eine Zukunft in Palästina hofften. Demgegenüber stellt sich nun die Frage, wie der Verband von politischen Parteien und anderen Organisationen im Reich wahrgenommen wurde, die nicht spezifisch jüdisch waren.

Der Verband im politischen Spektrum der Weimarer Republik

Wir haben uns in unserem Verband schon mehrfach über das Thema unterhalten, ob die Zugehörigkeit zu gewissen Parteien die Mitgliedschaft ausschließe, und haben das mit Recht verneint. Jeder, sei er rechts oder links stehend, kann bei uns Mitglied werden, wenn er nur in nationaler Hinsicht rein deutsch denkt und fühlt und wenn er sein Deutschtum in allen nicht ausschließlich religiösen Fragen über ein ihm etwa noch anhaftendes jüdisches Stammesgefühl stellt.

Dr. Simon: Verbandspolitik und Parteipolitik. In: Mitteilungsblatt des Verbandes nationaldeutscher Juden 4. Jg. (April 1924), Sondernr. 1 A, S. 8.

Grundsätzlich fühlte sich der Verband nicht an das Programm irgendeiner bestimmten Weimarer Partei gebunden. Vielmehr bezeichnete er sich wiederholt als „überparteilich“. Diese Selbstbeschreibung ist allerdings mit Vorsicht zu genießen, da sie im Kaiserreich und in der Weimarer Republik vorzugsweise von konservativen oder rechtsnationalistischen Gruppierungen verwendet wurde. Diesen Gruppen war typischerweise daran gelegen, sich selbst als Vertreter des gesamten Volkes zu inszenieren, wogegen andere, insbesondere linke oder katholische Gruppierungen, vermeintlich nur den Interessen einer bestimmten Klasse oder eines spezifischen Teils der Bevölkerung dienten.

Die Vorstellung der „Überparteilichkeit“ ließ sich daher auch gut instrumentalisieren, um den eigenen Standpunkt als neutral oder unideologisch darzustellen, ohne zu hinterfragen, ob dies überhaupt möglich sei. „Überparteilich“ bedeutete in diesem Sinne auch, dass sich Verbände, die diese Selbstbezeichnung verwendeten, gegenüber den Parteien als überlegen erachteten. Sie hielten ihre Arbeit für notwendig, um die vermeintlich selbstgenügsame und von Sonderinteressen gesteuerte Arbeit der Parteien zu überwachen und gegebenenfalls zu korrigieren.

Dass der Verband sich eher selten zur Demokratie bekannte, mag demzufolge auch daran gelegen haben, dass die demokratische Regierungsweise in Deutschland damals ein völlig neuartiges Experiment darstellte. Viele Menschen innerhalb und außerhalb des politischen Geschäfts misstrauten dieser neuen Errungenschaft. Da der VnJ den Anspruch erhob, im Sinne eines gesamten jüdischen und nichtjüdischen deutschen Volkes zu handeln und zu sprechen, versuchte er auch diese Menschen als Mitglieder oder Anhänger zu gewinnen. Im August 1926 forderte ein Mitglied in der Verbandszeitschrift einen „intranationalen“ Frieden im Deutschen Reich, der alle jüdischen und nichtjüdischen Staatsangehörigen erfassen müsse. Erst wenn dieser Zustand verwirklicht sei und auch jüdische Verbände in anderen Ländern sich um eine ähnliche interne Verständigungsarbeit bemühen würden, könnten die europäischen Staaten aufeinander zugehen und internationalen Frieden schaffen. Dies sei auch der einzige Weg zum Ende des Antisemitismus.

Dennoch lehnte es der Verband ab, sich lediglich als Sammelbecken für deutsche Juden zu sehen, die politisch rechts standen. Auch Anhänger der SPD waren ihm als Mitglieder grundsätzlich willkommen, obwohl sich nicht nur der Zentralverein darüber lustig machte. Denn schließlich tendierte der VnJ ja dazu, alles abzulehnen, was er als „international“ ansah und die SPD war als sozialistische Arbeiterpartei schon ihrem Grundgedanken nach international. Dennoch gab es Verbandsmitglieder, die ihr angehörten. Sie erklärten dies damit, dass sie Sozialisten seien, um konkrete wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Vorstellungen umzusetzen. Dennoch seien sie sehr wohl überzeugte Deutsche, deren Patriotismus nicht infrage stehe.

Den Eisenstirnigen, die es heute noch wagen, Sozialdemokraten als solchen nationales Gefühl abzusprechen, das Nationalgefühl als das besondere Vorrecht irgendeiner Partei zu erklären, ist mit Gründen der Vernunft nicht beizukommen. Dor lach´ ick över!

Erich Köhrer: Sozialdemokrat und Nationaldeutscher. In: Mitteilungsblatt des Verbandes nationaldeutscher Juden 2. Jg. (Februar 1922), Nr. 2, 1. Beilage, S. 1.
Der Autor war selbst allerdings kein Verbandsmitglied.

Diese Grundhaltung konnte sich darauf stützen, dass auch die SPD während des Krieges letzten Endes den Kriegskrediten zugestimmt hatte und die meisten Arbeiter ihren Dienst an der Waffe vier Jahre lang ohne größere Proteste verrichtet hatten. Da die meisten Verbandsmitglieder allerdings dem Bildungsbürgertum entstammten, fiel es ihnen schwer, das Phänomen des Sozialismus und die Positionen der Arbeiterbewegung tatsächlich nachzuvollziehen. Zwar glaubten führende Mitglieder wie Naumann oder Peyser durchaus daran, dass eine Art von sozialpolitischem Ausgleich zwischen den Klassen nötig sei und bezeichneten solche Überzeugungen gelegentlich als „Sozialismus“. Aufgrund ihrer eigenen gehobenen gesellschaftlichen Stellung fielen ihre Pläne jedoch zumeist recht patriarchalisch aus. Sie liefen vor allem darauf hinaus, Arbeitern Bildung und anderes kulturelles Allgemeingut zu vermitteln, um sie in die nationale Gemeinschaft zu integrieren. Genau solche Überlegungen trugen in den frühen Dreißigerjahren nach einigem Zögern sogar dazu bei, dass Naumann sich allmählich für das Programm der NSDAP zu erwärmen begann, wenngleich ihm Peyser und andere Verbandsmitglieder darin nicht folgten.

Bild: Martin Lehmann-Steglitz. Abrufbar unter: Wikipedia.org. Lizenz: CC BY-SA 4.0. Abgedruckt in: Rainer Schoch: Politische Plakate der Weimarer Republik, 1918-1933, Darmstadt 1980, S. 142.

Den engsten politischen Draht hatte der VnJ allerdings zur nationalliberalen DVP, der unter anderem Naumann und Peyser angehörten. Der spätere deutsche Reichskanzler und Außenminister Gustav Stresemann war bereits zur Gründungszeit des Vereins einer seiner engagiertesten nichtjüdischen Unterstützer und war auch an der Versammlung im Herrenhaus vom 5. Dezember 1921 beteiligt, wo der VnJ jüdische und nichtjüdische Diskussionsteilnehmer versammelte.

Stresemann ist heute vor allem für seine internationale Verständigungspolitik bekannt. Dennoch war er ein entschiedener deutscher Nationalist. Mit der Weimarer Republik freundete er sich eher notgedrungen an. Obgleich er selbst in eine jüdische Familie eingeheiratet hatte, erwartete er von Juden eine völlige Assimilation an die deutsche Kultur. Außerdem neigte er dazu, die Schuld am Antisemitismus bei den Juden selbst zu suchen.

Daher stimmte er mit den programmatischen Grundlagen des VnJ weitgehend überein, was ihn und seine Partei vorerst zur idealen politischen Option für dessen Vorstand machte. Als die Partei jedoch im Zuge der Weltwirtschaftskrise ab 1929 rapide an Stimmen verlor, fiel diese Option für den VnJ weg. Insbesondere Naumann versuchte nun zunehmend, sich der radikalen Rechten anzunähern, womit andere Mitglieder wie Peyser jedoch nicht einverstanden waren.

Obwohl zahlreiche jüdische und sogar nichtjüdische Kommentatoren dem Verband eine programmatische Nähe zum völkischen Nationalismus und Antisemitismus nachsagten, stieß die Idee eines nationaldeutschen Judentums in diesen Kreisen auf wenig Gegenliebe. In der nationalkonservativen DNVP setzten sich völkische Auffassungen bereits in den frühen 1920er Jahren so weitgehend durch, dass Juden es als Mitglieder oder Verbündete sehr schwer hatten. Einzelne deutschnationale Politiker, die den VnJ vorübergehend unterstützten, bekamen dies immer wieder zu spüren. So erging es auch dem Major Kurt Anker, der am 28. Januar 1924 auf einer Veranstaltung des Verbands sprach. Im Anschluss an seine Beteiligung erntete er zahlreiche Unmutsbekundungen von anderen deutschnationalen Parteimitgliedern, die ihm unter anderem vorwarfen, er würde den „nationalen“ Gedanken nicht konsequent zu Ende denken. Anker ruderte nun zurück, indem er behauptete, er habe aus rein taktischen Gründen an der Versammlung teilgenommen. In Wahrheit sei es ihm nur darum gegangen, interne Informationen über jene Juden zu sammeln, die sich als „nationaldeutsch“ bezeichneten. Der VnJ kritisierte ihn nun seinerseits scharf, da Anker sich als Opportunist, wenn nicht sogar als Spion zu erkennen gegeben hatte. Seine politische Karriere sollte auch in den folgenden Jahren einem eigenwilligen Kurs folgen. So verschlug es ihn zeitweise sogar zur SPD und zum republikanischen Reichsbanner.

Der ebenfalls deutschnationale Politiker Friedrich von Oppeln-Bronikowski verfasste demgegenüber wiederholt Artikel für die Verbandszeitschrift des VnJ und hielt ihm auch noch die Treue, nachdem er Anfang der 1930er Jahre wegen zahlreicher Differenzen aus der DNVP ausgetreten war. Wie viele andere Konservative und Nationalliberale hatte er zwar diverse antijüdische Vorbehalte. Allerdings betrachtete er die Mitgliederschaft des VnJ als idealisiertes Beispiel dafür, wie wahrhaft deutsche Juden seiner Ansicht nach aussehen und sich verhalten sollten. Viele Nichtjuden im Deutschen Reich beglückwünschten den VnJ dann auch mit dem Satz: „Wenn doch nur alle Juden so wären wie Sie.“

Bundesarchiv, Bild 116-119-12-07 | Lizenz: CC BY-SA 3.0 de

Der radikalen Rechten, die sich unter anderem im völkischen Flügel der DNVP, im Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund oder gar in der NSDAP sammelte, waren solche Überlegungen hingegen fast völlig fremd. Zwar gab man auch in solchen Kreisen gelegentlich zu, dass das Schicksal der nationaldeutschen Juden tragisch sei. Allerdings seien diese nun einmal Teil einer eigenen jüdischen „Rasse“, wodurch eine Eingliederung in das deutsche Volk schlichtweg unmöglich, ja sogar unvermeidbar schädlich sei. Die einzige Gruppierung des Judentums, die in diesem Teil des politischen Spektrums eine gewisse Art von Sympathie genoss, waren die Zionisten. Gegen einen jüdischen Staat in Palästina hatten einige Teile der radikalen Rechten in Deutschland nicht unbedingt etwas einzuwenden, denn damit verbanden einige die Hoffnung, dass künftig keinerlei Juden mehr im Reich leben würden.

Wir haben schon mehrfach auf die nationaldeutschen Juden hingewiesen, die plötzlich auftauchten, als die Beteuerungen des Zentralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, der sich früher für Kaiser und Reich, jetzt für M.S.P. und U.S.P. begeistert, nicht mehr recht verfangen wollten. Ein Mitglied dieses neuen Verbandes schildert nun in der „Köln. Ztg.“ unsere von unserer Regierung so verhätschelten Ostjuden, daß wir ihm gern einmal das Wort erteilen. Wenn wir das schreiben würden, würde man vom Sauherdenton reden.

Nationaldeutschjüdische Ergüsse. In: Völkischer Beobachter, 36. Jg. (30. Dezember 1922) Nr. 104, S. 1.

Die besonders antisemitische NSDAP hielt sich allerdings auch mit solchen vermeintlichen Detailfragen nicht weiter auf. Für sie stellten Juden schlicht und einfach eine Gefahr für Deutschland und für alle anderen Staaten und Völker der Welt dar und zwar unabhängig davon, wo sie lebten. Das Schicksal der nationaldeutschen Juden erschien den Nationalsozialisten deshalb auch keineswegs tragisch. Vielmehr waren sie davon überzeugt, dass es sich bei der Gründung des VnJ lediglich um ein geschicktes Täuschungsmanöver des „Weltjudentums“ handeln könne, das wieder einmal versuche, seine vermeintlich wahren, zerstörerischen Absichten gegenüber Deutschland zu verschleiern. Dennoch erschien der Verband für die propagandistischen Ziele der NSDAP mitunter nützlich.

Besonders die Agitation, die der VnJ gegen die Juden aus Osteuropa betrieb, wurde von den Nationalsozialisten dankbar aufgegriffen, um auf die vermeintlich großen Gefahren der ostjüdischen Zuwanderung nach Deutschland hinzuweisen. Allerdings merkte ein Redakteur des Völkischen Beobachters an, dass er, falls er ähnliche Ansichten wie der VnJ von sich gäbe, wohl wegen seines „Sauherdentons“ kritisiert werden würde.

Ende und Gesamtwirkung

Die Hoffnungen des VnJ, durch völlige jüdische Assimilation einen innerdeutschen Frieden zwischen Juden und Nichtjuden zu erwirken, erfüllten sich nicht. Die Nationalsozialisten erachteten den Verband als Gefahr für ihr Konzept einer judenfreien „Volksgemeinschaft“ und verboten ihn daher am 18. November 1935. Die Gestapo betonte sogar in ihrem Bericht, dass eine weitere Tätigkeit des Verbands für den nationalsozialistischen Staat von elementarer Bedrohung sei. Auch dies weist drauf hin, welch hohe Bedeutung dem Verband anscheinend beigemessen wurde. Naumann geriet in Haft, wurde entlassen und verstarb 1939 an Krebs. Peyser entkam nach Schweden, während anderen Verbandsangehörigen eine Flucht nach Großbritannien, in die USA, nach Südamerika oder, entgegen ihren früheren Neigungen, sogar nach Palästina gelang. Ihre Fluchtrouten fielen teils sehr verschlungen aus: So hielt sich Peysers Tochter Dora zunächst in Frankreich, England und der Schweiz auf, ehe sie es nach Australien schaffte. Julius Bamberger floh zunächst nach Paris, geriet nach der deutschen Besetzung in mehrere Konzentrationslager und konnte sich schließlich durch eine abenteuerliche Flucht über Spanien und Portugal in die USA retten. Viele andere versuchten hingegen, bis zuletzt in Deutschland auszuharren und überlebten den nationalsozialistischen Völkermord nicht. Samuel Breslauer kam im Ghetto Theresienstadt ums Leben. Viele der Geflüchteten lebten sich in ihren neuen Heimatländern ähnlich gut ein wie zuvor in Deutschland. Auch deshalb kehrten nur wenige von ihnen später in die Bundesrepublik zurück. Ähnlich wie bei anderen deutschen Juden spielte jedoch auch die erschreckende Desillusionierung angesichts der Verfolgung in der eigenen ehemaligen Heimat eine entscheidende Rolle.

Der VnJ war trotz seiner geringen Größe und der weitgehenden Erfolglosigkeit seiner Bestrebungen ein häufiges Gesprächsthema in jüdischen Gruppierungen wie auch in konfessionell gemischten Parteien der Weimarer Republik. Nach innen sicherte er die Loyalität seiner Mitglieder durch die klare Fixierung auf eine unbedingte Unterstützung deutscher Interessen und die Wahrung vermeintlich typischer deutscher kultureller Eigenarten. Vor allem die Zugehörigkeit zum Bildungsbürgertum, die fast alle Mitglieder teilten, bildete über die Grenzen verschiedener Generationen hinweg ein verbindendes Element, das die Anhängerschaft vereinte und ihre Positionen auch für nichtjüdische Deutsche aus derselben Schicht anschlussfähig machte. Im übrigen deutschen Judentum stießen der Verband und seine Tätigkeit fast durchweg auf Ablehnung, die teils sehr vehement, teils auch karikierend bis zynisch ausfiel. Auch im Parteienspektrum des Deutschen Reiches hatte er bis auf die nationalliberale DVP nur wenige Verbündete. Die Weimarer Republik stellte damit ein äußerst schwieriges Umfeld für diesen Verband dar, der sein Judentum mit einem rabiaten deutschen Nationalismus vermengte. Zugleich jedoch machten erst der stark anschwellende Antisemitismus und die massiven politischen Brüche der Weimarer Epoche die Entstehung eines solchen Verbands überhaupt möglich. Obwohl er sich durch seine Positionen in einen scharfen Gegensatz zu den meisten deutschen Juden brachte, waren die Probleme des VnJ doch typisch für jene Schwierigkeiten, mit denen das deutsche Judentum dieser Zeit insgesamt zu kämpfen hatte.

Literatur und Auswahlbibliographie
  • Dickhaut, Niels Tim: „Nicht eine Handvoll Ueberläufer, sondern ein Heer.“ Zum politischen Weltbild des nationaldeutschen Juden Max Naumann (1875-1939). In: Meis, Daniel (Hrsg.): Die Heterogenität des Judentums in der Weimarer Republik (1918/1919-1933). Biographische Zugänge, Berlin 2022, S. 83-102.
  • Hambrock, Matthias: Die Etablierung der Außenseiter. Der Verband nationaldeutscher Juden 1921-1935, Köln/Weimar/Wien 2003.
  • Meis, Daniel: Alfred Peyser (1870-1955) als Publizist des nationaldeutschen Judentums. In: Meis, Daniel (Hrsg.): Die Heterogenität des Judentums in der Weimarer Republik (1918/1919-1933). Biographische Zugänge, Berlin 2022, S. 83-102.
  • Nonn, Christoph: Antisemitismus, Darmstadt 2008.
  • Rheins, Carl J.: The Verband nationaldeutscher Juden 1921-1933. In: Leo Baeck Institute Yearbook, 25/1980, Nr. 1, S. 243-268.
  • Volkov, Shulamit: Die Verbürgerlichung der Juden in Deutschland als Paradigma. In: Dies. (Hrsg.): Antisemitismus als kultureller Code. Zehn Essays, 2. Auflage, München 2000, S. 111-130.
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