Die Geschichte der großen Seuchen und Epidemien – und was wir aus ihr lernen können

In der Erinnerung gibt es keine Grenzen; nur im Vergessen liegt eine Kluft, unüberwindlich für eure Stimme und euer Auge

Gibran: Im Garten des Propheten: 2012)

Seuchen – die Geißeln der Menschheit, die Strafe Gottes, ein Mysterium? Seit jeher faszinieren und erschrecken sie uns gleichermaßen. Nach wie vor sind vor allem Viruserkrankungen beliebte Motive in Filmen und Romanen. Bislang begegneten wir Epidemien wie der Pest eher in Geschichtsbüchern, der Lieblingsserie oder dem Videospiel. Jetzt sind wir plötzlich mittendrin. Ein Virus greift um sich. Menschen sterben – und das im 21. Jahrhundert. 

So bedrohlich und neuartig sich die derzeitige Situation, hervorgerufen durch das Coronavirus COVID-19, auch anfühlt, zeigt uns der Blick zurück in die Geschichte jedoch, dass die Menschheit seit Anbeginn ihrer Zivilisation bereits mit einer Vielzahl von Krankheitserregern zu kämpfen hatte.

Die Spanische Grippe, die Pest und andere Erkrankungen forderten dabei millionenfache Opfer und doch konnte die moderne Medizin einige Siege erringen: So zum Beispiel im Kampf gegen die Pocken. Eine Krankheit an der im 18. Jahrhundert etwa jedes zehnte Kind starb. Nichtsdestotrotz ist beispielsweise die Pest, welche Viele von uns ins finstere Mittelalter verorten, nach wie vor nicht besiegt: Selbst im Jahr 2019 kam es zu Meldungen über Pestkranke.[1]
Dennoch steht fest: Obwohl heute mit jedem neuen Tag auch die Anzahl der Corona-Infizierten auf der ganzen Welt ansteigt, gilt es, Ruhe zu bewahren.

Den Blick auch mal auf Vergangenes zu richten, kann gerade jetzt hilfreich sein, denn nur so ist es möglich, aus Fehlern zu lernen und daraus die richtigen Rückschlüsse zu ziehen. Daraus resultierend stellen sich z. B. die Fragen nach Maßnahmen, die früher ergriffen wurden, um Seuchen Herr zu werden. Gab es eigentlich schon früher Quarantänemaßnahmen? Ab wann spricht man von einer Pandemie? Wann von einer Epidemie? Und warum trugen die Ärzte während der Pest sogenannte „Schnabelmasken“?

1. Pandemie oder Epidemie – Wo liegt der Unterschied?

Unter einer Epidemie verstehen Fachleuchte, wenn eine Infektionskrankheit in einem Land oder einem größeren Landkreis zu einer Massenerkrankung wird. In Deutschland erkranken etwa zehn bis zwanzig Prozent der Menschen jährlich an der Grippe. Es handelt sich hier also um eine Grippe-Epidemie. Tritt eine Erkrankung aber global, also weltweit auf, spricht man von einer Pandemie. Neben einem wesentlich höheren Prozentsatz innerhalb der Bevölkerung an Infektionen, kommt es bei einer Pandemie auch zu einem schwereren Krankheitsverlauf und zu einer erhöhten Sterblichkeitsrate im Vergleich zu saisonal auftretenden Infektionen. Deshalb bezeichnen wir auch die derzeitige Lage als Pandemie. Die Begriffe „pan“ und „demos“ stammen dabei aus dem Griechischen und bedeuten „alles“ und „Volk“.

In der Vergangenheit trat bereits eine Vielzahl an Pandemien auf. So zum Beispiel die Spanische Grippe zwischen 1918 und 1920. Laut Aussage des Robert-Koch-Instituts starben hier ca. 20 bis 50 Millionen Menschen an den Folgen der Erkrankung.

2. Die Pest: Die blutige Suche nach dem Übeltäter

Wohl keine Krankheit ist so präsent in unserem Gedächtnis verankert wie die Pest. Das liegt wahrscheinlich daran, dass die hochansteckende Infektionskrankheit besonders viele Tote forderte und für die Medizin eine lange Zeit über ein schier unlösbares Rätsel darstellte.

Obwohl wir den Schwarzen Tod, wie die Pest auch genannt wird, eher mit dem Mittelalter verbinden, gab es die tückische Krankheit schon lange vor ihrem großen Ausbruch im 14. Jahrhundert: In Konstantinopel, dem heutigen Istanbul, brach die Krankheit nämlich schon vorher immer wieder aus. Im 14. Jahrhunderte erreichte die Pest dann aber auch Europa und im Zuge dessen auch ihren Höhepunkt. Auf welchen Wegen die Pest den Weg nach Europa fand, ist bis heute umstritten. Die Forschung vermutet, dass der Schwarze Tod durch den Schiffsverkehr aus dem Vorderen Orient nach Mitteleuropa gelangte. Genaue bzw. zuverlässige Opferzahlen existieren nicht. Schätzungsweise geht man von etwa 20 bis 50 Millionen Toten aus. Eine verheerende Zahl: Ungefähr ein Drittel der europäischen Bevölkerung starb an den Folgen der Pest.

Ob Lungen – oder Beulenpest: Verantwortlich für die Pest war ein Bakterium.

Aber warum bezeichnen wir die Pest eigentlich als „Schwarzen Tod“? Wie die Krankheit zu ihrem Beinamen kam ist ebenfalls bis heute nicht allumfassend geklärt. Zum einen könnte der Name von der blau-schwarz gefärbten Haut der Erkrankten herrühren. Auf der anderen Seite vertreten einige Forscher ebenfalls die Meinung, dass der Begriff erst im 16. Jahrhundert aufkam. Die Bezeichnung „schwarz“ ist hier dann also vor allem symbolhaft gemeint, da die Farbe allgemeinhin für Unheil steht.

Natürlich suchte man schon damals nach der Ursache bzw. einer Erklärung, um der Krankheit angemessen begegnen zu können. Die Theorien reichten von ungünstigen Planetenkonstellationen bis hin zu vergiftetem Wasser. Vor allem Juden machte man damals fälschlicherweise für die Pest verantwortlich. Man glaubte, sie würden das Brunnenwasser vergiften. Die Anschuldigungen hatten schließlich zur Folge, dass große Teile der jüdischen Bevölkerung vertrieben und grausam ermordet wurden.

Der Grund hinter den Verdächtigungen war ein generelles Misstrauen und eine Abneigung der Christen gegenüber dem Judentum. Man warf ihnen beispielsweise auch brutale Ritualmorde vor und wunderte sich, warum jüdische Familien erst später mit der Seuche infiziert wurden. Dass die jüdischen Ernährungs- und Hygienevorschriften dafür verantwortlich sein könnten, erkannte man erst später. Ein Sündenbock war dennoch gefunden. Und so litt ein Großteil der jüdischen Bürger unter Zwangstaufen, Folter und Mord. Gleiches gilt übrigens auch für die angeblichen Hexen im 17. Jahrhundert, die – im Zuge einer weiteren Pestwelle – verdächtigt wurden, die Pest als Gehilfinnen des Teufels über die Menschheit gebracht zu haben.

Im Kampf gegen den Schwarzen Tod setzten die Ärzte auf ganz unterschiedliche Mittel, da sie nicht wussten, dass die Infektionskrankheit durch die Ratten und ihre Flöhe auf den Menschen übertragen wurden. Ein oft angewandtes Mittel war beispielsweise der sogenannte Aderlass. Hier schnitt ein Arzt in die Vene des Infizierten. Auf diese Weise sollte mit dem heraustretenden Blut auch der Erreger aus dem Körper fließen. Darüber hinaus erhielten einige Erkrankte auch Brechmittel. Um sich vor dem Pesterreger zu schützen, setzte man ebenfalls auf Tücher, die man vor dem Gesicht trug oder versprühte Rosenwasser, da man glaubte, die verdorbene Luft so vom Erreger befreien zu können.

Deshalb trugen im 17. Jahrhundert die Ärzte aus Frankreich und Italien auch sogenannte „Pestarztmasken“. Die schnabelartige Nase der Maske versah man dabei mit einem getränkten Schwamm. Der Geruch von Nelken oder Zimt sollte den Arzt so davor bewahren, sich selbst mit dem tödlichen Erreger zu infizieren. Die Augenöffnungen bestanden zudem aus Glas oder Kristall, da man sich auch vor dem Blick des Kranken schützen wollte, der ebenfalls als hochansteckend galt. Fernab von Duftwassern und Schnabelmasken setzte man jedoch im 14. Jahrhundert auch vereinzelt auf Isolation im Kampf gegen Seuchen, Epidemien und Pandemien. Erstmals praktizierte man dies im dalmatinischen Ragusa (heute Dubrovnik), um die Ausbreitung der Pest einzudämmen.

Zwar endete 1353 die Hochzeit der Pest, dennoch kam es weiterhin zu Erkrankungen. Erst im Jahr 1894 entdeckte der Mediziner Alexandre Yersin das auslösende Pestbakterium Yersinia Pestis und entwickelte, basierend auf seinen Erkenntnissen, einen Impfstoff. Yersin erkannte auch die Verbindung zwischen der Krankheit und den Ratten. Wenige Zeit später identifizierte man dann die Flöhe als Hauptüberträger des Bakteriums.

Trotz der Entdeckung durch den schweizerisch-französischen Mediziner Yersin kommt die Pest in Afrika, Asien und auch Lateinamerika weiterhin vor. Dies liegt u. a. auch daran, dass der Erreger im Tierreich weiterhin existent ist. Dass es in Europa abermals zu einer Pestwelle kommt, ist dennoch sehr unwahrscheinlich. Zum einen liegt dies daran, dass wir heute in hygienischeren Verhältnissen leben – auf der anderen Seite ist die Anzahl an in Europa lebenden Nagetieren deutlich geschrumpft, was das Risiko einer Übertragung zusätzlich minimiert.

3. Bis heute rätselhaft: Der Englische Schweiß

Anders als die Pest stellt eine andere Krankheit bis heute ein absolutes Rätsel dar: Im 15. Jahrhundert suchte eine seltsame Krankheit das erste Mal England heim und sollte dann – nach mehreren verheerenden Infektionswellen – plötzlich wieder verschwinden.

„Sudor anglicus“, die Schweißsucht, wütete dabei von England ausgehend über die Grenzen des Königreichs hinaus und forderte zahlreiche Opfer. Dabei erkrankten Arme wie Reiche, Junge wie Alte gleichermaßen – wobei die meisten Opfer kräftige Männer waren. Ein Umstand, der die Bevölkerung Englands besonders in Schrecken versetzte. Übelriechender Schweiß, plötzliches Fieber, starke Kopf- und Kreuzschmerzen sowie ein brennender Schmerz hinter dem Brustbein waren Symptome, auf die binnen kürzester Zeit der Tod folgte.

Johny Kaye, der Leibarzt des englischen Königs unterschied den Krankheitsverlauf in ein „kaltes und heißes Stadium“. Nach anfänglichem Schüttelfrost bildeten sich große Schweißtropfen. Der Körper stand sprichwörtlich in Flammen. Wer erst einmal an dem unbekannten Fieber erkrankte, hatte nicht mehr viel Zeit zu leben. Eine Äbtissin berichtete zu jener Zeit, dass „drei in 25 Stunden gestorben sein (…) selbst die jungen starken gehen um wie die Halbtoten (…) Es möchte Gott erbarmen, das man so gar keine Hilf von ihnen (den Ärzten) hat.“[1]  

Zum ersten Mal trat die Schweißsucht am 7. August 1485 in Erscheinung. Insgesamt gab es fünf Infektionswellen. Der Krankheitsverlauf war bei jeder Epidemie unterschiedlich stark. Demnach kam es im Zuge der zweiten Erkrankungswelle zu weniger Todesfällen als bei der ersten. Beim dritten und vierten Erscheinen der rätselhaften Krankheit schnellten die Opferzahlen jedoch erneut in die Höhe. Besonders rätselhaft war auch der Umstand, dass auch einige Vögel zeitgleich erkrankten.

Was die Ursache der Schweißsucht anbelangt, glaubten die Ärzte damals, dass ein Zuviel an Feuchtigkeit im menschlichen Organismus das Fieber hervorrufen würde. Dementsprechend achtete man auch auf eine strenge Diät zur Behandlung der Krankheit: Vermieden werden sollten Früchte und in Gewässern lebendes Geflügel. Außerdem sah man den Zorn Gottes als wesentliche Ursache für eine Erkrankung an.

Um eine gottgewollte Infektion zu umgehen oder um wieder zu genesen, legte man den Menschen daher ein Leben nach den zehn Geboten nahe. Dennoch gab es schon zu dieser Zeit auch Maßnahmen, die an unsere heutigen Schutzmaßnahmen – etwa die Abstandsvorschrift – erinnern. So berichtet ein Apotheker, welcher in Linz an der Donau lebte, dass man den direkten Kontakt zu Kranken vermeiden sollte: „Wan der Kranckh schwizt, soll man sich hüthen Von seinem aden [Atem] Vnd dem dampff so Von Ihm gehet, damit niemandt Vergiffs [vergiftet] wird, man sol auch das Peth [Bett-] Vnd Pathgewandt [Bade‑, Reisegewand] schön waschen Vnd lang erlüfften lassen“[2].

So plötzlich der Englische Schweiß auftauchte, verschwand er auch wieder. Zwar trat Jahrhunderte später in Europa eine ähnliche Erkrankung in Erscheinung, diese war aber mit einem Hautausschlag verbunden und unterschied sich somit vom „Sudor anglicus“. Die Theorien darüber, was hinter dieser mysteriösen Krankheit wirklich steckte, reichen heute von Grippe- bis hin zu Hantaviren. Auch Läuse und Flöhe wurden als Überträger verdächtigt. Eine andere Theorie sieht für den Menschen giftiges, vom sogenannten Mutterkorn befallenes Getreide, als Ursache. Obwohl dieser Theorie, angesichts des hohen Ansteckungsrisikos, eher widersprochen werden kann, bleibt der Englische Schweiß bis heute ein Mysterium.  

Exkurs: Europäische Gastgeschenke – Pocahontas und die Pocken

Wer kennt sie nicht: Die Häuptlingstochter Pocahontas, die tatsächlich im 17. Jahrhundert in England lebte. Was Disney jedoch verschweigt, ist, dass Pocahontas, bevor sie wieder in ihre Heimat zurückkehren konnte, an den Pocken verstarb. Gänzlich geklärt ist dies nicht. Dennoch steht fest, dass viele der Ureinwohner Amerikas sich mit den Pocken infizierten und in Folge dessen verstarben. Die erste dokumentierte Epidemie ist in diesem Zusammenhang für das Jahr 1507 bezeugt. Es ist sogar, laut den Überlieferungen, anzunehmen, dass die Pocken ganz wesentlich für den Bevölkerungsschwund der Ureinwohner verantwortlich waren. Dass so viele Indianer an den Pocken verstarben, lag vor allem daran, dass ihr Immunsystem den Erreger nicht kannte und somit besonders anfällig war. Erst mit den ersten Impfungen der Ureinwohner gegen die Pocken, veranlasst durch den US-Präsidenten Thomas Jefferson, konnten schließlich erste Erfolge in der Neuen Welt im Kampf gegen die Krankheit verzeichnet werden. 

4. Die Spanische Grippe: Ein Virus fordert Millionen von Opfern

Die Grippe, auch als Influenza bezeichnet, ist eine hochansteckende Infektionskrankheit, welche sowohl Tiere als auch Menschen befallen kann. Tödlich endet sie selten. Dennoch ist der Kampf gegen das Grippevirus äußerst kompliziert, weil dieses ständig mutiert. Das bedeutet, dass sich das Erbgut des Virus jedes Jahr spontan verändert. Diese Veränderung des Virus bezeichnen Mediziner auch als Antigen-Shift. Das Virus ist nämlich dazu in der Lage, die menschliche Immunität, welche die Menschen durch frühere Kontakte mit Grippeviren erhalten haben, durch eine Mutation zu umgehen. Ein solcher Antigen-Shift kann dann eine Pandemie auslösen – wie beispielsweise die Russische Grippe von 1889 bis 1892 oder auch die Asiatische Grippe von 1957.

Die spanische Grippe: Warum erkrankten vor allem junge Menschen?

Die wohl verheerendste Grippepandemie liegt dabei gerade etwas mehr als 100 Jahre zurück: Die Rede ist von der Spanischen Grippe. Von 1918 bis 1920 forderte sie schätzungsweise rund 50 Millionen Menschenleben – jeweils in drei großen Wellen. Das Influenzavirus traf die Welt damals völlig unvorbereitet. Der erste Weltkrieg war gerade beendet und grassierte noch immer in den Köpfen der Menschen. Dementsprechend fielen auch die damaligen Warnungen zunächst gering aus, da man von einer ganz normalen, saisonalen Grippe ausging und mit den Nachwirkungen des Kriegs zu kämpfen hatte. Dass die Grippe neben der Lungenentzündung im Jahr 1918 die häufigste Todesursache werden sollte, konnte zu diesem Zeitpunkt noch niemand absehen.   

Wo die Spanische Grippe ihren Anfang nahm, ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Vermutlich sprang das Virus von Geflügel und Schweinen auf den Menschen über und fand in überfüllten militärischen Ausbildungslagern in Kansas (USA) gute Bedingungen zur weiteren Ausbreitung. Von dort aus konnte sich das Virus durch US-Truppentransporte dann in Frankreich weiter ausdehnen. Dennoch stellt auch dies nur eine Annahme dar. Eine weitere Theorie besagt nämlich, dass China die ersten Fälle verzeichnete. Wieder andere Forschungsmeinungen gehen davon aus, dass sich aus einer gewöhnlichen Grippe eine Krankheit entwickelte, die in einer weiteren Welle im Jahr 1918 Millionen von Opfern einforderte.

Die meisten Toten waren übrigens noch recht jung und im Alter zwischen 20 und 40 Jahren. Warum das so war, konnte man sich damals nicht erklären. Heute weiß man, dass das Immunsystem der älteren Bevölkerung besser mit dem Erreger umgehen konnte, da die Körper bereits mit einer Vielzahl an Grippeerregern aus den vergangenen Jahrzehnten konfrontiert worden waren. Der jüngeren Bevölkerung fehlte schlichtweg dieser Immunschutz. Gut zu wissen: Dass die Spanische Grippe so heißt liegt vor allem an dem Umstand, dass die iberische Presse als erste von ihr schrieb.

Doch warum konnte sich die Spanische Grippe Anfang des 20. Jahrhunderts so gut ausbreiten? Hier spielt vor allem die falsche Einschätzung der Erkrankung durch die Regierungen eine wesentliche und ganz entscheidende Rolle. Schlichtweg nahm man die Erkrankung anfangs nämlich nicht ernst genug: Die Reichs- und Landesbehörden in beispielsweise Deutschland gaben damals keine Maßnahmen vor, wie man sich zu verhalten hatte. Die Lokalverwaltungen mussten also völlig auf sich gestellt über mögliche Schließungen von Theatern, Schulen usw. entscheiden. So kam es beispielsweise dazu, dass man in Dresden – im Zuge der zweiten Infektionswelle – sofort die Schulen schloss. In Leipzig handelte man jedoch erst nach den ausdrücklichen Forderungen der Bevölkerung.

Wie entscheidend die Einhaltung von Vorsichtsmaßnahmen ist, zeigte sich auch im amerikanischen Philadelphia (Pennsylvania). Trotz Warnungen ließ man dort im September 1918 eine Parade stattfinden. Bis zu 200.000 Menschen kamen hier zusammen, um ausgelassen zu feiern. Die Folgen ließen jedoch nicht lange auf sich warten: Rund drei Tage später waren die örtlichen Krankenhäuser überfüllt. In nur einer Woche hatten sich ca. 45.000 Bürger mit dem Grippeerreger infiziert. Sechs Wochen später hatten bis zu 12.000 Menschen ihr Leben verloren. Keine andere amerikanische Großstadt war damals so stark von der Spanischen Grippe betroffen wie Philadelphia. Im Vergleich dazu setzte St. Louis (Missouri) unverzüglich auf Schulschließungen sowie Verbote von öffentlichen Versammlungen, Gottesdiensten und Kinobesuchen. In der Konsequenz verteilten sich die Infektionen deutlich langsamer als in Philadelphia. Die maximale Sterberate war sogar rund achtmal niedriger. 

Ein weiterer Grund weswegen die Spanische Grippe solch ein verheerendes Ausmaß annehmen konnte, war auch der Umstand, dass es noch keine Antibiotika gab, um die Begleiterscheinungen des Virus – in Form von bakteriellen Lungenentzündungen – zu bekämpfen. Die Forschung steckte auch hier noch in den Kinderschuhen. Erst im Jahr 1928, mit der Entdeckung des schottischen Bakteriologen Alexander Fleming, kam es zur medizinischen Innovation: Die Entwicklung von Penicillin – das erste Antibiotikum, das man schließlich gegen schädliche Bakterien einsetzen konnte.

Auch bis zur Entdeckung des Influenzavirus mussten noch einige Jahre vergehen. Erst im Jahr 1933 erkannte man, dass hinter dem Grippevirus kein Bakterium steckte, wie man lange Zeit annahm. Auf diesen innovativen Erkenntnissen basierend, kam es folglich auch hier zu neuen Untersuchungen. Im Zuge des Zweiten Weltkriegs entwickelten Wissenschaftler schließlich einen Impfstoff, welcher sich als effektiv gegen das Influenzavirus erwies. Die erste Grippeimpfung war geboren – ein Durchbruch in der Medizingeschichte.

5. Fazit – Was jeder Einzelne von uns tun kann

Die Pest, der Englische Schweiß, die Pocken oder auch die Spanische Grippe: Seuchen gehörten seit jeher zu unserer Lebenswelt. Besonders der „Schwarze Tod“ oder auch die Spanische Grippe führten dabei zu besonders vielen Opfern und sorgten für Angst und Schrecken unter den Menschen. Verzweifelt suchte man nach Erklärungen und glaubte – bspw. im Zusammenhang mit der Pest – die Übeltäter in Juden gefunden zu haben. Ein Trugschluss! Trotz Zwangstaufen und Hinrichtungen starben große Teile der Weltbevölkerung weiterhin.

Auch heute gilt, dass Schuldzuweisungen jeglicher Art fehl am Platze sind. Umso unverständlicher ist, das selbst in unserer Zeit alte Feindbilder noch immer Anklang finden. Verschwörungstheorien und Antisemitismus in Zeiten von Corona sind daher nach wie vor Realität – off- wie online. Anstatt jedoch kopflos Schuldige für die globale Ausbreitung zu suchen, sind wir besser damit beraten, wirksame Schutzvorkehrungen zu treffen und diese auch konsequent einzuhalten.

Wichtig ist dabei jedoch auch, nicht in Panik zu verfallen. Der Blick zurück in die Geschichte sollte uns vor allem auch beruhigen: Anders als heute waren die Mediziner – nicht nur im Hinblick auf das medizinische Fachwissen – deutlich schlechter ausgestattet. So gab es weder Antibiotika noch Impfstoffe, die man Patienten hätte verabreichen können, um bspw. tödliche Begleiterscheinungen zu verhindern. Anstatt dessen setzte man auf Gebete, Rosenwasser oder Aderlasse – in der Hoffnung, so eine Verbesserung des Gesundheitszustandes zu erzielen.

Was der Blick zurück jedoch auch deutlich macht ist, dass wir das Coronavirus ernst nehmen müssen. Es bringt nichts, wegzuschauen. Die Beispiele von St. Louis und Philadelphia zeigen hier besonders eindrücklich, dass da, wo Schutzvorkehrungen zu spät getroffen wurden, die Todesrate in die Höhe schnellte und die Situation noch unkontrollierbarer machte. Anders als früher wissen wir, wie sich Viren verbreiten und wie wir gegen eine Ansteckung vorgehen können.

Zuversicht statt Pessimismus ist also gefragt und bis dahin heißt es: durchhalten, Vorsichtsmaßnahmen befolgen und so vor allem eins beweisen: Menschlichkeit in einer Situation, die sich für uns fremd anfühlt, aber eigentlich nichts Neues ist.


[1] Seewald, Englischer Schweiß, https://www.welt.de/geschichte/article180675502/Englischer-Schweiss-Die-unbekannte-Seuche-die-schneller-toetete-als-die-Pest.html (26.04.2020).

[2] Apotheker Paul und Dominicus. Handschrift: Regement vnd Ártzneӳ in dem Englischn Schwais – 1529 – Vnd am lesten Steet für die Breӳn – Ich noch Zülest für die Pestilentz – Vnd noch am blat ain Cöstlich bewart stückh vom Hanf sam̃en alten Vnd Jüngen Vnd Vergifften sachen. 155 x 200 mm, geheftet, Titelbatt, 59 beschriebene, sieben freien Seiten., zitiert nach Heinz Flamm.

Literatur und Auswahlbibliographie