Soll ich wirklich Geschichte studieren weil mich Geschichte interessiert?

In der Erinnerung gibt es keine Grenzen; nur im Vergessen liegt eine Kluft, unüberwindlich für eure Stimme und euer Auge

Gibran: Im Garten des Propheten: 2012)

Geschichtsbegeisterte Menschen gibt es viele. Viele denken sogar über ein Hochschul-Studium der Geschichte nach. Diese Interessenten sind keineswegs nur Abiturienten vor der Studienwahl. Auch „ältere Semester“ interessieren sich für ein Gast- oder Seniorenstudium. Um Geschichte zu lernen, kann ein Studium geeignet sein. Es ist aber keinesfalls immer die beste Wahl. Bei der Entscheidung sollten vor allem bedacht werden, dass ein Geschichtsstudium vor allem im Erforschen, nicht im Auswendig-Lernen von Geschichte besteht.

Während meiner Studienzeit habe ich die Erfahrung gemacht, dass viele „ältere Semester“ daran interessiert sind, Geschichte an der Universität zu lernen und zu erleben. So war der Anteil an Vollzeit-Geschichtsstudenten, Seniorenstudenten und anderen Gasthörern in vielen Vorlesungen fast ausgeglichen, vor allem bei Vorträgen zur jüngeren deutschen Geschichte. Diese weit verbreitete Begeisterung für Geschichte ist mit ein Grund, warum wir Geschichte-lernen.net ins Leben gerufen haben!

Dieses Projekt, Geschichte-lernen.net, wird geführt von Menschen, die alle Geschichte im Rahmen eines Magister-, (heute Master) Studiengangs studiert haben, auch wenn wir vielleicht andere Wünsche, Bedürfnisse und Probleme als Seniorenstudenten oder Gasthörer haben bzw. hatten. Trotzdem denke ich, dass sowohl Interessenten für ein Vollzeit-Studium, als auch potentielle Gasthörer und Seniorenstudenten von unseren Erfahrungen profitieren können.

Ich, Robin Brunold habe insgesamt ganze neun Jahren Geschichte studiert. Das mag vielen sehr lang vorkommen – zu lang. Und das ist es auch! Ein Geschichtsstudium kann man (und muss man innerhalb der neuen Bachelor-Studiengänge auch) wesentlich zügiger abschließen. Allerdings konnte ich dadurch auch vielfältige Erfahrungen sammeln, von denen meine potentiellen Nachfolger an der Universität nun profitieren sollen.

Auf der anderen Seite sollen sie aber auch den Einen oder Anderen von einem Geschichtsstudium abhalten, für den der Studiengang vielleicht gar nicht der Richtige ist. So glaube ich, dass manche Leute Geschichte nur studieren wollen, weil er oder sie an eines der zahlreichen Mythen rund um ein historisches Studium glaubt.

Nur auswendig lernen? Die größten Mythen des Geschichtsstudiums

Der wohl größte Mythos um das Studium der Geschichte betrifft die Inhalte des Studiengangs. Die meisten Menschen haben da falsche Vorstellungen. Dies wird mir immer wieder bewusst, wenn ich Leuten erzähle, dass ich an der LMU München Geschichte studiert habe und nun selbstständig im Online-Marketing mit meiner Firma SEOfaktur arbeite.

„Was hat das denn mit Geschichte zu tun?“ Diese Frage resultiert vor allem aus der Vorstellung, dass ein Geschichtsstudent die Weltgeschichte von der Steinzeit bis zum heutigen Tage auswendig lernt. Diesem Glauben hängen erstaunlich viele Menschen an. Er führt auch zu Fragen, wie „Warum weißt du nicht, wer 471 in Byzanz Kaiser war? Du hast doch Geschichte studiert!“

Lange Gänge führen an der LMU Münchenn in alle Bereiche des Hauptgebäudes
Ein Studium der Geschichte ist eine tolle Sache. Vor allem an der LMU München. Aber nicht für jeden! | Bild: Robin Brunold

Der Glaube an die Allwissenheit des Historikers in geschichtlichen Dingen resultiert vor allem daraus, dass der Geschichtsunterricht in der Schule vor allem im (Auswendig-) Lernen von Ereignisgeschichte bestand. Aber gerade darum geht es bei einem Geschichtsstudium nicht! Man eignet sich während des historischen Studiums vielfältiges Grundwissen an – das ist richtig (und wird bei Tests im Grundstudium auch abgefragt). Warum in China 1900 ein Sack Reis umgefallen ist, können wir aber deswegen nicht beantworten.

Was wir aber können, ist, zu erforschen, warum er umgefallen ist. Und gerade darum geht es bei einem Geschichtsstudium: Geschichte zu erforschen! Geschichte auswendig zu lernen ist die Vorstufe dazu und wurde in der Schule abgehakt. Im Studium geht es darum, nun die Geschichte anhand von Quellen und Literaturarbeit in wissenschaftlicher Art und Weise zu erforschen. Weiterhin bereiten wir die Forschungsergebnisse für die jeweilige Zielgruppe auf. Dann gilt es, diese Forschungsergebnisse möglichst ansprechend wiederzugeben – wiederum zielgruppenbezogen. Und weil wir gelernt haben, rational-wissenschaftlich zu arbeiten und Dinge ansprechend und (im besten Falle) verständlich aufzubereiten, können wir weit mehr als nur Geschichtslehrer werden!

Auf der anderen Seite bedeutet das aber auch: Wer nur möglichst viel über Geschichte erfahren möchte, nicht bereit ist, sich in die (teilweise hoch wissenschaftliche und theoretische) Methodik einzuarbeiten und sich bei Begriffen wie „onthologische Entitäten“ mit Grausen abwendet, dem kann guten Gewissens von einem Geschichtsstudium abgeraten werden. Hier gibt es vielfältige andere Möglichkeiten, Geschichte zu lernen. Diese Webseite zählt dazu, andere gute Möglichkeiten sind hier beschrieben.

Mehr als nur Lehrer werden: Die Arbeitsmarktaussichten für Historiker

Studien belegen allerdings, dass es bei Historikern unter Umständen ein wenig länger dauern kann, bis sie einen Job gefunden haben. Und fürwahr: Um in der universitären Forschung unterzukommen, sind gute Kontakte zu Wissenschaftlern eine Grundvoraussetzung. Genauso wie angehende Historiker ihre Studienkarriere mit exzellenten Noten absolvieren und beenden müssen. Jobs in der Forschung sind rar, heiß begehrt und meistens auch noch schlecht bezahlt – zumindest bis zur unbefristeten Professorenstelle.

Herodot – Erster akademischer Forscher der Geschichtswissenschaften. Doch Uni-Absolventen  können mehr als nur das | © Sabine Weiße; Pixelio.de

Ein weiterer Mythos zum Geschichtsstudium dreht sich um die Aussichten auf eine Arbeitsstelle als Absolvent eines historischem Studiengangs. Manche Menschen glauben, dass Geschichtsstudenten prädestiniert dafür sind, später als Taxifahrer oder Teilzeit-Gastronomen zu arbeiten, da mit der brotlosen Kunst der Historiker-Zunft sowieso nichts anzufangen sei. Dieser Mythos hängt wohl auch mit dem vorher angesprochenen Umstand zusammen, dass viele Leute glauben, ausgebildete Historiker könnten lediglich anderen Menschen dabei helfen, als Lehrer oder Geschichtsdozenten Geschichte auswendig zu lernen. Dass Geschichte-Lernen gerade heutzutage sinnvoll ist und Historiker keinesfalls nur die Option „Lehrer oder Taxifahrer“ bleibt, hat John Rüth ja schon in seinem Beitrag „Macht Geschichte lernen heutzutage überhaupt noch Sinn?“ widerlegt.

Trotzdem ist es mein persönliches Anliegen, es allen wirklich Geschichtsinteressierten ans Herz zu legen, sich nicht vorab von den vermeintlich schlechten Jobaussichten von einem Studium abhalten zu lassen.

Einerseits, weil es – den notwendigen Willen und Einsatz vorausgesetzt – durchaus möglich ist, an der Universität unterzukommen.  Andererseits, weil wir weit mehr können, als uns gemeinhin zugetraut wird. Wir können später auch einen Job finden, der keinesfalls nur im Lehramt oder Archiv zu finden ist. Ein Quereinstieg ist gar nicht so schwierig, solange man schon während des Studiums seine Fühler – durch Praktika, Nebenjobs und ähnliches, in eine ganz bestimmte Richtung ausstreckt und diese beibehält. So fließen auch die Beschäftigungsdaten von Historikern in die Arbeitslosenquote von Akademikern ein, die insgesamt bei gerade einmal zwei Prozent liegt. Und auch innerhalb von Akademiker-Kreisen liegt die Rate der arbeitslosen Historikern nicht wesentlich höher!

Titelfoto: © Kniesel | Lizenz CC-BY-SA-2.0

Artikel erstmals veröffentlich am 5. Oktober 2013

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