Der Umgang mit der NS-Vergangenheit in der Ära Adenauer

Nach dem Zweiten Weltkrieg stellten die Alliierten und allen voran die amerikanische Besatzungsbehörde im Zuge ihrer sog. „Denazifizierungspolitik“ zunächst sehr hohe Ansprüche an die „Säuberung“ aller gesellschaftlichen Bereiche von Einflüssen des Nationalsozialismus. Angesichts des Ost-West-Konflikts weichten diese Bemühungen allerdings bald immer weiter auf. Im Zuge der sog. „Integrationspolitik“ der frühen 1950er Jahre wurden dann sogar hochgradig Belastete wieder eingegliedert. Ein Beispiel ist der frühere Referent der Wehrmacht Theodor Oberländer, der zum Vertriebenenminister ernannt wurde.

Beitragsbild: Nach „erfolgreicher Entnazifizierung“ erhielt man ein offizielles „Entlastungs-Zeugnis“. | Foto: Bernd Schwabe, Lizenz: CC BY-SA 3.0

Von der „Denazifizierung“ waren nach Ende des zweiten Weltkriegs alle Bereiche der deutschen Gesellschaft betroffen: Kultur, Presse, Ökonomie, Jurisdiktion und Politik. So war es im Potsdamer Abkommen von 1945 von den Alliierten gemeinschaftlich vereinbart worden. Um eine gewissenhafte Überprüfung aller Deutschen sicherzustellen, verwendeten die Alliierten einen umfangreichen Fragebogen. Die anschließende Aburteilung erfolgte durch unbelastete deutsche Schwurgerichte. Die Verurteilung vieler Hauptschuldiger nahmen die Alliierten durch ihre eigene Militärgerichtsbarkeit in den sog. „Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen“ vor.

Allerdings zeigten sich schon in der Nachkriegszeit starke Aufweichungstendenzen in der rigorosen Entnazifizierungspolitik, die vor dem Hintergrund des heranziehenden Ost-West-Konflikts zu sehen sind. So hatte die konsequente Denazifizierungspolitik große Lücken in den Verwaltungsapparat gerissen. Bald sah man sich genötigt, auch „Vorbelastete“ zum Aufbau eines westdeutschen „Bollwerks“ gegen den Kommunismus heranzuziehen. Die Gefahren, die vom Kommunismus ausgingen, erschienen größer als die Gefahr eines nationalsozialistischen und erstarkten Deutschlands. Deswegen bezeichnen manchen Autoren die Entnazifizierungspolitik der Alliierten insgesamt als gescheitert. Andererseits lässt sich zumindest konstatieren, dass die alliierte Politik überzeugte Nazis zwang, sich in der Nachkriegszeit zurückzuhalten. Sie stellten damit keine Gefährdung beim Aufbau der neuen Demokratie dar. nach oben ↑

Die Integrationspolitik der 50er Jahre

Die Aufweichungstendenzen der Denazifizierung in der späten Besatzungszeit gingen dann in der jungen Bundesrepublik nahtlos in die sogenannte „Integrationspolitik“ der frühen 50er Jahre über. Die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit lehnten die meisten Deutschen rundweg ab; eine Vergangenheitsbewältigung fand so gut wie gar nicht statt. Auch wenn das offene Bekenntnis zum NS-Staat nicht möglich war: Allzu bohrende Fragen an die Vergangenheit und Verantwortung deutscher Bürger – unterhalb der obersten Führungsebene – zu stellen, war ein absolutes Tabuthema der (frühen) Ära Adenauer.

Ausdruck fand das aktiv betriebene Vergessen, vom Historiker Sternberger mit dem Begriff der „vitalen Vergesslichkeit“ charakterisiert, schon früh im April 1951 im sog. „131er-Gesetz“ – dem „Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 des Grundgesetzes fallenden Personen“. In allen Fraktionen, einschließlich der KPD (bei nur zwei Enthaltungen) fand ein juristisches Regelwerk ungeteilte Zustimmung, das Berufsbeamte und Soldaten, die während der alliierten Besatzungszeit ihren Posten verloren hatten, die Rückkehr in den deutschen Staatsapparat ermöglichte. So konnten alle früheren Beamten des NS-Staats wieder in ihr Beamtenverhältnis zurückkehren, die ohne den Vermerk „Hauptschuldige oder Belastete“ aus den alliierten Entnazifizierungsverfahren hervorgegangen waren. Parteimitglieder und Funktionäre bis in mittlere Ebenen der NS-Bewegung wurden in den 50er Jahren in die deutsche Gesellschaft, oft auch in hohe Positionen der Politik, wieder eingegliedert. nach oben ↑

Globke und Oberländer: Erfolgreiche „Integrationspolitik“

Portraitfoto von Hans Globke in einem Richterzummer
Musterbeispiel für „erfolgreiche Integrationspolitik“ in den 50er Jahren: Der ehemalige NS-Verwaltungsjurist Hans Globke | Bildlizenz: CC-BY-SA-3.0-de

Die Beispiele für eine „erfolgreiche Integrationspolitik“ sind vielfältig. So kehrte Hans Globke als Chef des Bundeskanzleramts unter Adenauer in die deutsche Spitzenpolitik zurück. Globke war ehemaliger Verwaltungsjurist im NS-Reichsinnenministerium und hatte einen prominenten Kommentar zu den Nürnberger Rassegesetzen verfasst. Ebenfalls in eine hohe Position der Regierung Adeneauer schaffte es Theodor Oberländer, früherer Referent des Oberkommandos der Wehrmacht. Oberländer, Mitglied der Partei „Bund der Heimatlosen und Entrechteten“, zog 1953 als Bundesvertriebenenminister ins Kabinett Adenauer ein.

Mit am frappierendsten gestaltete sich aber die Personalkontinuität in vielen deutschen Bundesämtern. Nicht nur im Auswärtigen Amt arbeiteten bald viele Ex-Nazis. Auch und vor allem im Bundesnachrichtendienst (bis 1956 „Organisation Gehlen“) besaß nahezu jeder zehnte Mitarbeiter einen SS-, SD- oder Gestapo-Hintergrund. Erst im 21. Jahrhundert förderte die BND-Historiker-Kommission weitere, teils erschreckende Details zu Tage. So geht aus der Arbeit der Kommission hervor, dass auch mehrere ehemalige SS-Offiziere beim BND tätig gewesen waren, die eine Mitschuld an schwersten Kriegsverbrechen trugen, wie beispielsweise der berühmt-berüchtigte SS-Hauptsturmführer Alois Brunner.

Ausdruck fand die Integrationspolitik auch darin, dass viele inhaftierte „hauptschuldige“ und „belastete“ Kriegs- und NS-Verbrecher frühzeitig frei kamen, noch bevor diese ihre Haftstrafe verbüßt hatten – oft nach massiver Fürsprache der bürgerlichen, sozialdemokratischen, kirchlichen, wirtschaftlichen und militärischen Eliten der Bundesrepublik.

Es ist im Grunde nicht möglich, befriedigende Erklärungen für die Integrationspolitik der 50er Jahre zu finden. Vor allem spielten wohl „praktische Überlegungen“ bei der Rehabilitation eine Rolle. So herrschte ein ausgeprägter Fachkräfte-Mangel an qualifizierten Bewerbern ohne NS-Hintergrund, vor allem im öffentlichen Dienst. Der Aufbau einer effizienten Verwaltung des neuen deutschen Staats war ohne die Rehabilitation zumindest der „kleinen Fische“ kaum möglich. So stellte die deutsche Regierung, allen voran Konrad Adenauer, das Ziel eines möglichst raschen und effizienten Wiederaufbaus und der damit verbundenen Wiedererlangung der deutschen Souveränität über moralische Bedenken und das Bestreben, den deutschen Staat möglichst gründlich zu entnazifizieren. Auch spielten fehlendes Schuldbewusstsein, bewusstes Wegschauen und die Solidarität der vielen NS-Belasteten in der deutschen Bevölkerung untereinander eine wichtige Rolle. So konnte nicht sein, was nicht sein durfte. nach oben ↑

Anfänge einer Vergangenheitsbewältigung

Die Anfänge einer echten Vergangenheitsbewältigung finden sich erst Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre. Der erste Schritt stellte im November 1958 die Einrichtung der „Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen“ dar. Bald darauf konnte mit der systematischen Aufarbeitung der NS-Verbrechen begonnen werden. Maßgeblich vorangetrieben von Fritz Bauer fanden diese Entwicklungen in den ersten Frankfurter Ausschwitz-Prozessen ihren ersten Höhepunkt.

Da es aber die Kriegsgeneration meist ablehnte, mit der NS-Vergangenheit konfrontiert zu werden, stellte die ersten wirklich bohrenden Fragen erst die Nachkriegsgeneration – zumindest in größerem Umfang. Als diese Ende der 1960er Jahre ins „politisch lebensfähige“ Alter kam, markierte die 68er Bewegung einen weiteren und dieses Mal nachhaltigen Höhepunkt der Aufarbeitung nationalsozialistischer Verbrechen.